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Polizeiskandal in MV

AfD-Polizist aus MV spionierte politische Gegner aus

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In Greifswald gibt es einen Polizisten, der für seine politischen Aktivitäten bekannt ist. Sein Name ist Dan Rachow, seine Partei die AfD. Er nimmt an AfD-Demos teil, schreibt rechte Kommentare und streitet sich auf Facebook über “Dönermänner” und “Chinesen”. Der Beamte steht unter schwerem Verdacht, persönliche Daten politischer Gegner an mindestens eine rechtsextreme Person weitergegeben zu haben. Wie wurde das bekannt?

Die Geschichte: Ein rechtsextremer Busfahrer aus Greifswald kontaktiert die dem linken Spektrum zugehörige Klara Blum über Whatsapp, um sie in eine politische Diskussion zu verwickeln. Blum blockt das Gespräch ab und fragt mehrfach nach der Identität der kontaktaufnehmenden Person. Der rechtsextreme Busfahrer entscheidet, anonym zu bleiben. Das Gespräch wird beendet.

Klara Blum empfindet diese anonyme Kontaktaufnahme als direkte Bedrohung, so wie es jetzt auch in Hessen passiert ist: Wir haben deine Daten, wir kennen deine Telefonnummer, vielleicht wissen wir auch, wo du wohnst. Blum beschließt, den Vorfall der Polizei Greifswald zu melden, und bittet um Hilfe. Das Kuriose: Die Polizei muss der Geschädigten mitteilen, dass sie, die Polizei selbst, hinter dieser Datenveruntreuung stecken könnte. Die Polizei teilt mit, dass es mehrere grundlose Abfragen personenbezogener Daten durch einen Greifswalder Polizisten gegeben hat:

Am 2. Januar 2019 um 19:37 Uhr stellte der Polizist Dan Rachow im eMRA-X eine Datenabfrage unter Angabe des Nachnamens, Vornamens und Wohnorts von Blum. Dabei erhält er Informationen über ihren Geburtsort, das Geburtsdatum, die Wohnanschrift und die Familienangehörigen. Am 3. Januar 2019 um 3:11 Uhr fragt Rachow im INPOL-MV kriminalpolizeiliche Erkenntnisse zu der Geschädigten ab. Für die Suche nutzt er den Nachnamen, den Vornamen und das Geburtsdatum. Die Telefonnummer ist in diesen Systemen nicht zu finden. Weil Blum aber zwei Tage zuvor einen Notruf an die Polizei abgesetzt hatte, wurde ihre Telefonnummer über das ebenfalls von der Polizei genutzte FELIS-System geführt. Einen Tag später, am 4. Januar 2019, schreibt der rechtsextreme Busfahrer aus Greifswald eine erste Whatsapp-Nachricht an Blum.

Klara Blum meldet sich bei der Polizei, die daraufhin eine interne Ermittlung gegen Rachow wegen der grundlosen Datenabfrage einleitet. Dieser hatte nicht nur die sensiblen Daten Blums abgefragt, sondern auch die von noch mindestens vier weiteren Bürgern, die sich gegen rechts engagieren. Eine Vernehmung Rachows kommt jedoch nicht zustande, denn er macht von seinem Schweigerecht Gebrauch. Der rechtsextreme Busfahrer hingegen wird vom internen Polizeiermittler vernommen. Diesen hatte man über seine Handynummer identifiziert. Er gibt zu, die kontaktaufnehmende Person gewesen zu sein. Auf die Frage, woher er die Handynummer Blums bekommen hat, antwortet der Busfahrer mit erstaunlich gutem juristischem Fachwissen. Antwort: Er möchte bei dieser Frage von Paragraf 55 StPO Gebrauch machen. Demnach darf auch ein Zeuge zu einzelnen Fragen schweigen, wenn er durch seine Aussage eine verwandte Person belastet und gegen diese dann ein Strafverfahren eingeleitet werden würde.

Es ist jedoch nicht plausibel, dass eine mit dem Busfahrer verwandte Person die Telefonnummer von Klara Blum hatte, denn beide verkehren in vollkommen unterschiedlichen Kreisen. Der Ermittler hätte eine Glaubhaftmachung der pauschalen Behauptung des Busfahrers verlangen können. Das geschieht meist über eine eidesstattliche Versicherung. Aber genau darauf verzichtet der Ermittler überraschenderweise. Schwache Vernehmung!

Nicht nur dadurch wirkt die Vernehmung inszeniert. Der Eindruck verhärtet sich, betrachtet man den Rest der Vernehmung. An deren Ende stellt der Ermittler die dümmste jemals von einem Ermittler gestellte Frage - es sei denn, diese soll den Beschuldigten schützen. In dem Fall wäre die Frage sogar ganz klug. Der Ermittler fragt den Busfahrer sinngemäß: Sind Sie auch der Meinung, dass Leute allgemein alle ihre persönlichen Daten ins Netz stellen und sich dann beschweren, wenn sie mal kontaktiert werden? Antwort des Busfahrers: “Ja.” - Was für ein Dialog! Ist so eine Frage eigentlich noch wohlwollend naiv oder bereits Aufklärungsverhinderung?

Es drängt sich der Eindruck auf: Das war keine ernsthafte Vernehmung. Vielmehr war es der effektivste Weg, um keine ermittlerischen Ergebnisse zu erzielen. Die Staatsanwaltschaft wird den Fall am Ende deshalb einstellen.

War der Fall wirklich unverdächtig für die Staatsanwaltschaft?

  1. Rachow hätte erklären können müssen, warum er die Daten abgefragt hat. Er darf diese natürlich einholen, wenn es einen polizeilich relevanten Grund gibt. Hätte es einen gegeben, hätte er ihn nennen und sich damit selbst gegen der Vorwürfe verteidigen können. Er schweigt aber lieber.

  2. Der rechtsextreme Busfahrer und Dan Rachow kennen sich. Das geht aus den Facebook-Kommentarverläufen hervor.

  3. Rachow löscht sein Facebookprofil, als die Ermittlungen aufgenommen werden. So etwas machen Täter oft, um Ermittlungen zu erschweren.

  4. Auch der Busfahrer löscht das “aktivste” seiner mindestens drei Facebookprofile.

  5. Der Busfahrer wechselt seine Handynummer.

  6. Die Vernehmung des Zeugen verläuft wie ein Gespräch beim Friseur. Kein anderer Ermittlungsverlauf hätte den Beschuldigten stärker schützen können.

Alle diese Punkte sprechen eine eindeutige Sprache. Was macht die Staatsanwaltschaft? Sie stellt den Fall ein. Warum? Weil sie nicht nachweisen kann, dass Rachow die Daten weitergegeben hat oder mit Schädigungsabsicht handelte. Hinweis: Mit einer solchen Ermittlungstaktik hätte man auch Beate Zschäpe (NSU) und Christian Klar (RAF) freisprechen können.

Darüber hinaus beging die Staatsanwaltschaft einen formellen Fehler: Neben Klara Blum stellten zusätzlich drei weitere Personen Strafantrag gegen Dan Rachow. Es gibt also insgesamt vier Strafantragsteller, die aufgrund ähnlicher Taten gegen Rachow vorgehen wollten. Die Staatsanwaltschaft hatte es bei drei dieser vier Personen versäumt, einen Einstellungsbescheid zuzusenden (darunter auch Klara Blum). Die Betroffenen wurden also erst über die Medien und dann auf Nachfrage darüber informiert, dass das Verfahren eingestellt wurde. Das ist juristisch unzulässig. Der Einstellungsbescheid ist relevant, weil auf ihm auch eine Rechtsbehelfsbelehrung steht, mit der sich die Betroffenen gegen die Entscheidung wehren könnten.

Sind Dan Rachow und der Busfahrer überhaupt rechtsextrem?

Mal mehr, mal weniger. Der Busfahrer findet die NPD ganz gut und schreibt sowas hier: “Ich war nicht gegen die NPD unterwegs , da sie eine freie Partei ist , die sich nichts zu Schulden kommen lassen hat im Gegensatz zu allen anderen altparteien …” [Fehler im Original] Seine Facebookposts sind manchmal menschenverachtend, manchmal rassistisch, manchmal unfassbar banal. Wenn man durch seine Facebookprofile scrollt - er hat derzeit noch mindestens zwei -, sieht man immer mal wieder Wehrmachtssoldaten oder Eiserne Kreuze oder beides zusammen. Er postet beispielsweise auch das Gedicht “Einmal im Jahr” von Thilo Scheller. Der hatte es 1943 für die NSDAP geschrieben. Alles klar.

Dan Rachow ist kein NSDAP-Verherrlicher, sondern ein typischer AfD-Anhänger. Er schreibt das, was die Partei vorher auch schon kommuniziert hat. Sobald er sich von der AfD-Kommunikation entfernt, wenn er sich also in einer freien Diskussion befindet, wirkt er ungebildet bis hilflos. Er schreibt zum Beispiel: “Klar mag jeder den Dönermann oder Chinesen um die Ecke, aber das war es dann auch. Vielen reicht es neue Kulturen im Urlaub in dessen Ländern kennenzulernen. Man kann auch die Welt zu einem besseren Ort machen, wenn jeder dort bleibt wo er ist” [Fehler im Original].

Stereotype und Rassismus geschenkt, wirklich erstaunlich ist die Banalität, mit der solche Inhalte von einem Polizeibeamten formuliert werden. Für so einen Satz braucht man nicht beide Gehirnhälften. Das Ganze findet nicht privat statt, sondern in öffentlichen Foren. Es gibt eine sehr lange Diskussion auf Facebook darüber, ob Rachow wirklich ein Rassist ist oder nicht. In solchen Situationen wird deutlich, dass Rachow aber zumindest versteht, dass jetzt auch sein Job als Polizist auf dem Spiel stehen könnte. Er nimmt an diesen Diskussionen selbst teil und droht dann mit seinem Anwalt. Wer ist das eigentlich?

Kennen sich die Personen?

Der Anwalt von Dan Rachow ist Christian U. Miraß. An dieser Stelle wird dieser sehr interessante Polizeifall auch etwas lustig. Denn Miraß bekundet stolz, dass er bei Kollegah in der Alpha-Lounge war. Kennt ihr den noch? Das ist der eine Antisemit von den beiden Kläffern, die damals den Echo bekommen haben, und weshalb die Echoverleihung danach eingestellt wurde.

Sexismus, Homophobie, Verschwörungstheorien und Antisemitismus - die lassen nichts aus, und Christian U. Miraß hat damit anscheinend kein Problem. Ganz im Gegenteil: Er lässt sich mit Kollegah ablichten und postet das Foto ganz stolz auf Facebook. Kollegah hat damals übrigens noch die “Boss-Transformation” angeboten. Er versprach Lebenshilfe für Männer mit Beziehungsproblemen und Minderwertigkeitskomplexen. Vielleicht hat Miraß sich also auch einfach zum Boss ausbilden lassen - könnte sein. Vielleicht wollte Kollegah aber auch einfach einen rechten Anwalt auf seiner Seite wissen - könnte auch sein.

In den sozialen Medien gibt es eine Person, die Miraß immer wieder öffentlich darum bittet, Rechtssituationen einzuschätzen. Wisst ihr, wer das ist? Der rechtsextreme Busfahrer. Ob er ein Mandant Miraß’ ist, bleibt unklar. Aber die drei kennen sich wohl ganz gut - AfD-Rachow, Boss-Miraß und der rechtsextreme Busfahrer.

Gesellschaftlicher Schaden enorm

Auch angesichts dieser Verwicklungen forderte eine anwaltliche Beschwerde die Staatsanwaltschaft zur Wiederaufnahme des Falles auf, nachdem dieser zum ersten mal eingestellt wurde. Darin wurde auch auf die offensichtlichen Ermittlungsversäumnisse hingewiesen. Die Antwort der Generalstaatsanwaltschaft vom 18. Juni 2020: Es sei zwar wahrscheinlich, dass Rachow die Daten weitergegeben hat, aber die Wiederaufnahme wird aus Mangel an Beweisen abgelehnt. Der Fall wird eingestellt.

Der gesellschaftliche Schaden ist durch ein derartiges Versagen der Behörden enorm. Bürger fühlen sich verunsichert, weil ihre Daten veruntreut werden. Sie zweifeln an der Neutralität der Polizei, weil Polizisten Dienst und politische Agenda vermischen. Sie zweifeln am Rechtssystem, weil die Polizei einen internen von der Polizei bezahlten Ermittler (Was ist das eigentlich für ein anfälliges System?) einsetzen darf. Sie zweifeln am Rechtssystem, weil eine Aufklärung ganz offensichtlich vom Ermittler verhindert und von der Staatsanwaltschaft hingenommen wurde.

Auch für die Institutionen selbst ist das ein Nachteil. Die meisten Polizisten arbeiteten korrekt und werden durch so einen Fall in einer relativ kleinen Stadt ungerechterweise einem Generalverdacht unterzogen. Das gilt auch für die Staatsanwaltschaft Mecklenburg-Vorpommern. Die Staatsanwaltschaft am Landgericht Stralsund hatte übrigens bis vor Kurzem einen stellvertretenden Leiter (CDU), der eigentlich Justizminister von MV werden sollte, aber so offen mit der AfD sympathisierte, dass er untragbar wurde. Name: Sascha Ott.

Ott fiel durch besonders migrationskritische und zuletzt auch homophobe Positionen auf, was am Ende die Frage aufwarf, ob solche Leute als Richter eingesetzt werden oder sogar Institutionen leiten sollten. Wer hat den Juristen aus Greifswald öffentlich verteidigt? Philipp Amthor. Das ist der mit der Lobby-Affäre. Ott arbeitet mittlerweile als Direktor des Amtsgerichts Stralsund.

Der Augsburger Rechtswissenschaftler Josef Franz Lindner hat im Verfassungsblog einen starken Artikel über die Vereinbarkeit von Parteimitgliedschaften und Beamten veröffentlicht. Ergebnis: Beamte dürften natürlich in Parteien eintreten und politisch aktiv sein. Aber sie unterliegen auch einer Mäßigungs- und Neutralitätspflicht. Bei vielen Akteuren dieses Falles ist unklar, ob diese Pflichten ausreichend eingehalten werden. Lindner schlägt in solchen Fällen eine individuelle Prüfung der Verfassungstreue des einzelnen Beamten vor.

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Fußnoten

  1. Wir nennen den vollen Namen, da das öffentliche Interesse an diesem Fall und dieser Person besonders groß ist und die Person selbst umfangreich in der Öffentlichkeit unter Klarnamen aufgetreten ist.
  2. Er sympathisiert in den sozialen Medien offen mit der AfD und fordert andere auf, die AfD zu wählen und sich dazu zu bekennen. Ob er AfD-Mitglied ist, ist nicht bekannt.
  3. Name von der Redaktion geändert
  4. Informationssystem zur Datenabfrage.- URL: https://www.dvz-mv.de/Produkte/Melderegisterauskunft/
  5. Elektronisches Informationssystem der Polizei Mecklenburg-Vorpommern
  6. »Flexibles Einsatzleitsystem Innere Sicherheit«. Hier werden Abfragen nicht dokumentiert.- URL: https://www.t-systems-ifs.com/produkte-loesungen/einsatzmanagement/einsatzleitsysteme/artikel-702018
  7. Diese versichert die Aussage einer Person in besonderem Maße, da Abgabe einer unwahren eidesstattlichen Versicherung strafbar ist und sogar mit Freiheitsentzug sanktioniert werden kann.
  8. Chatverlauf liegt KATAPULT vor.
  9. Lindner, Josef Franz: Zur Partei­mitgliedschaft von Beamten, auf: verfassungsblog.de (15.2.2019).

Autor:innen

Der Herausgeber von KATAPULT und Chefredakteur von KATAPULTU ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete während seines Studiums das KATAPULT-Magazin.

Aktuell pausiert er erfolgreich eine Promotion im Bereich der Politischen Theorie zum Thema »Die Theorie der radikalen Demokratie und die Potentiale ihrer Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten«.

Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)

Pressebilder:

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