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Apple – zwischen Marke und Religion

Gott hat ein iPhone

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Apple ist die erfolgreichste Marke der Welt. Markenexperten orientieren sich oft an Apple und einer davon hat einen Artikel in der Zeitung »Die Welt« veröffentlicht. Es ist der merkwürdigste des Jahres 2017. Der Geschäftsführer einer Markenagentur, Roland Albrecht, beschreibt darin, wie gut die Zukunft erst sein wird, wenn sich Menschen ohne Angst auf ganz neue »Marken« freuen können.

Was so wirkt, als hätte ein Markenexperte aus Versehen seinen Traum des sinnlosen Konsums aufgeschrieben, ist tatsächlich auch so

Für ihn sind Menschen glückselig, wenn sie Produkte (auch Politik ist für ihn ein Produkt) von »positiven« Marken besitzen. Aber wer weiß schon, ob die Zukunft positive Marken kreiert? Roland Albrecht schreibt: »Die Zukunft soll kommen.« Albrecht macht mit seiner Markenagentur aus jeder negativen Marke eine positive. Mehr noch, er macht die »Marken zu einem Statement und zu einem Anker für Wertegemeinschaften«. Eine Wertegemeinschaft hat für ihn also nichts mit gesellschaftlichen Grundwerten zu tun, die das Volk sich selbst gibt, sondern mit Konzernen, die Werte vermitteln.

Was hier so wirkt, als hätte ein Markenexperte aus Versehen seinen Traum des sinnlosen Konsums aufgeschrieben, ist tatsächlich auch so. Es ist ein Traum, den Apple bereits in Perfektion umgesetzt hat, ein Traum, in dem es keine Kunden, sondern Gläubige gibt - Follower, die nicht aus rationalen Überlegungen kaufen, sondern weil sie denken, in irgendeiner Weise mit einer Marke verbunden zu sein.

Freund statt Gerät

Neurowissenschaftler haben klinische Tests durchgeführt, in denen Hirnaktivitäten von Samsung- und von Apple-Kunden untersucht wurden. Den Samsung-Kunden zeigten sie Samsung-Produkte, den Apple-Kunden Apple-Produkte. Dabei wurden ihre Gehirnaktivitäten mit einem Magnetresonanztomographen (MRT) beobachtet, das Ergebnis sieht so aus: Samsung-Produkte aktivieren bei Samsung-Kunden eine Gehirnregion, die für rationale Entscheidungsfindung und Abwägung zuständig ist. Die Probanden reagieren also mit Vernunft, sie können Vor- und Nachteile vergleichen und danach entscheiden, ob die Vorteile überwiegen.

Apple-Produkte aktivieren bei ihren Fans eine Gehirnregion, die auch arbeitet, wenn Menschen an ihren Gott denken

Apple-Produkte aktivieren bei ihren Fans hingegen eine andere Gehirnregion, die der zwischenmenschlichen Emotion. Die gleiche Region wird aktiviert, wenn Menschen emotional aufgewühlt sind, wenn sie an ihren Gott denken oder Menschen sehen, die ihnen gefühlsmäßig nahestehen. Ein iPhone ist für Apple-Fans demnach ein vermenschlichtes oder göttliches Gerät. Sie nehmen dieses Produkt in etwa so wahr, wie sie einen Freund wahrnehmen. Wäre das iPhone einfach nur ein nützliches Gerät, würden es deutlich weniger kaufen.

Was Apple von Samsung unterscheidet, ist der von den Fans zugeschriebene Wert fernab aller technischen Vorteile. Die Symptomatik von Kaufsucht funktioniert ähnlich: Menschen, die ein Produkt aus Sucht kaufen, versuchen damit eine Identität aufzubauen, einen Lebenssinn zu erhalten oder Glück für den Moment zu erfahren. Wichtig ist dabei nicht, wie zweckmäßig ein Produkt ist und welche Lebenserleichterung es bringt. Wichtig ist der Moment des Kaufens und der bloße Gedanke daran, das Produkt zu besitzen. Die Marke Apple gibt seinen Kunden spirituell-religiöse Wunsch- und Glücksgefühle. Apple ist die Versprechung, das Paradies noch vor dem Tod zu erleben.

Wer ist anfällig für emotionale Marken?

Kaufsüchtige und Markenliebhaber haben oft eine Gemeinsamkeit: ein geringes Selbstwertgefühl. Sie sind verunsicherte Menschen und kaufen deshalb eher Marken und teure Produkte, die von vielen gekauft werden oder ein gutes, also »sicheres« Image besitzen. Nicht nur psychisch instabile Menschen tendieren zu sicheren Markenprodukten, auch stabile Persönlichkeiten sind schnell aus ihrem Gleichgewicht zu bringen: Bei Rechtshändern beispielsweise, die gezwungen werden, mit links zu schreiben (oder umgekehrt), erhöht sich schon nach kurzer Zeit die Wahrscheinlichkeit, aus Verunsicherung ein sicheres Markenprodukt zu favorisieren.

Für Gruppen sind gekaufte Produkte identitätsstiftend

Der Nachahmungstrieb des Menschen kann auch positiv interpretiert werden. Der Mensch ist ein soziales Wesen und ahmt seine Mitmenschen nach, um dazuzugehören, sagt Arnd Florack von der Universität Wien. Diese Eigenschaft des Menschen ist für eine Markenbildung grundlegend. Für Gruppen sind auch gekaufte Produkte identitätsstiftend. Dass ein Mensch einer starken Gruppe angehört, »war in der Evolution überlebenswichtig«, sagt Florack.

Babys ahmen ihre Eltern nach, Hobbysportler fahren schneller Rad, wenn sie im Fernsehen ein Radrennen sehen und Nachbarn kaufen sich nacheinander ein neues Auto, wenn nur einer damit anfängt. Menschen kaufen das, was viele kaufen oder von dem sie denken, dass es viele gekauft haben. Werbung wirkt bereits dann positiv auf eine Kaufentscheidung, wenn gezeigt wird, wie nach dem beworbenen Produkt gegriffen wird. Auch Hinweisschilder mit der Aufschrift »meistverkauft« oder einfach eine hohe Masse der Produkte im Regal führen zu einer Verkaufssteigerung.

Wer ein iPhone besitzt, ist ein Gewinner

Dass Apple das alles noch übertrifft, wird an seinen auffälligsten Kunden deutlich. Immer wenn Apple ein neues Produkt erstmalig verkauft, gibt es Fans, die tagelang vor Geschäften campieren, um bereits am Erstverkaufstag eines der Produkte zu bekommen. Wenn der Apple Store dann öffnet, stürmen sie zu den Geräten und werden beim Verlassen des Shops von den Mitarbeitern als »Sieger« bejubelt. Wer ein iPhone besitzt, ist ein Gewinner. Dass es diese Menschen gibt, hat für Apple einen enormen Wert. Der direkte Umsatz ist dadurch zwar gering. Viel entscheidender ist aber, dass über das Ereignis »Kunden stürmen Apple Store« berichtet und damit kostenlose Werbung in den Medien platziert wird. Die Message ist klar: Einige Menschen wollen unbedingt Apple und die Biologie des Menschen ist so ausgelegt, das Verhalten der anderen nachzuahmen. Dadurch wollen viele Menschen unbedingt Apple.

Wer also noch keine Camper vor seinem Laden hat, die auch bei Regen (das ist wichtig) mehrere Tage ausharren, um »das beste Produkt der Welt« als Erstes zu bekommen, der sollte Leute bezahlen, die das machen.

Die spirituellen und identifikationsstiftenden Elemente dieser Marke sind so präsent, dass Apple ein Hybrid aus Marke und Religion geworden ist

Unter dem Begriff des Konsums versteht man nicht den Erwerb, sondern den Verbrauch eines Gutes. Weil Apple wie auch viele anderen Firmen in sehr kurzen Abständen neue Smartphone-Serien produziert, ist dieser Verbrauch aber in den Hintergrund getreten. Das Kaufen und Besitzen ist wichtiger als der Nutzen. Apple-Kunden kaufen deshalb ein neues Smartphone, weil es ein neues gibt, nicht, weil das alte nicht mehr funktioniert. Deshalb ist Apple kein Phänomen, das mit dem Begriff des Konsums vollständig gegriffen werden kann. Die spirituellen und identifikationsstiftenden Elemente dieser Marke sind so präsent, dass Apple ein Hybrid aus Marke und Religion geworden ist.

EXKURS: Wo produziert Apple eigentlich seine Geräte?

Nicht in den USA, dort wird nur das schwach verkaufte Macbook Pro zusammengesetzt. Die meisten Jobs hat Apple in China und Japan geschaffen. Donald Trump wollte das gerne ändern und Apple-Geschäftsführer Tim Cook zwingen, neue Fabriken in den USA zu bauen. Cook verwies darauf, dass Apple immerhin zwei Millionen Arbeitsplätze in seiner Heimat geschaffen habe, davon 800.000 direkt bei Apple und weitere 1,2 Millionen bei US-amerikanischen Zulieferern.

Apple erklärte bereits 2015, dass es nicht nur wegen der niedrigen Löhne in Asien produziere, sondern auch, weil dort die Fähigkeiten der Arbeiter höher seien

Ergebnis der Auseinandersetzung ist, dass Apple jetzt eine neue Fabrik in Indien baut und in den Staaten lediglich in neue Technologie-Startups investiert. Genau so, wie Trump es nicht wollte. Er glaubt trotzdem noch an Cook und sagte im Juli 2017 über ihn: »He's promised me three big plants - big, big, big... We're gonna get Apple to start building their damn computers and things in this country, instead of in other countries.«

Cook wird dieses Versprechen, das er eventuell nie gegeben hat, wahrscheinlich nicht einhalten, vor allem auch, weil er sich infolge der rassistischen Vorfälle in Charlottesville 2017 und Trumps rechtfertigender Reaktion von diesem distanzierte. Zudem hat Cook einen doppelten Anreiz, die Produktion in Asien auszubauen. Er erklärte bereits 2015, dass Apple nicht nur wegen der niedrigen Löhne im Ausland produziere, sondern auch, weil dort die Fähigkeiten der lokalen Arbeiter höher seien. China habe viel mehr qualifizierte Werkzeugmacher als die USA. Ob das Argument stimmt oder nicht, es zeigt, dass Apple nicht dazu bereit ist, seine Produktion von den Entwicklungsländern in die Industrieländer zu verlegen. Alle Bestrebungen dieser Art werden höchstens klein ausfallen und aus besänftigenden Gründen getätigt werden.

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Fußnoten

  1. Albrecht, Roland: Konsumgesellschaft. Wie Marken zum Anker für gemeinsame Werte werden, auf: welt.de (8.3.2017).
  2. Vgl. Sparheld International GmbH (Hg.): Kaufsucht. Wenn Einkaufen zur Krankheit wird, Berlin (o.D.), S. 9, auf: sparheld.de.
  3. Vgl. Florack, Arnd; Palcu, Johanna: The psychology of branding, in: V. Jansson-Boyd, Cathrine; Zawisza, Magdalena J. (Hg.): Routledge International Handbook of Consumer Psychology, London 2017, S. 542-564.
  4. Zit. nach Schramm, Stefanie; Wüstenhagen, Claudia: Konsumverhalten. Die tägliche Verführung, auf: zeit.de (10.4.2012).
  5. Vgl. ebd.
  6. Konsum, lat. consumere »verbrauchen«.
  7. Vgl. Balakrishnan, Anita: Apple's decision to build the Mac Pro in the U.S. slowed production, report says, auf: cnbc.com (21.12.2016).
  8. Vgl. o.A.: Awaiting Apple's formal proposal to set up India plant: Suresh Prabhu, auf: livemint.com (26.11.2017).
  9. Vgl. Minasians, Christopher: Where are Apple products made?, auf: macworld.co.uk (18.9.2017).
  10. Mickle, Tripp; Nicholas, Peter: Trump Says Apple CEO Has Promised to Build Three Manufacturing Plants in U.S., auf: wsj.com (25.7.2017).

Autor:innen

Der Herausgeber von KATAPULT und Chefredakteur von KATAPULTU ist einsprachig in Wusterhusen bei Lubmin in der Nähe von Spandowerhagen aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft und gründete während seines Studiums das KATAPULT-Magazin.

Aktuell pausiert er erfolgreich eine Promotion im Bereich der Politischen Theorie zum Thema »Die Theorie der radikalen Demokratie und die Potentiale ihrer Instrumentalisierung durch Rechtspopulisten«.

Veröffentlichungen:
Die Redaktion (Roman)

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